Bekanntgabe Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen


Daten angezeigt aus Sitzung:  Gemeinderatssitzung, 05.12.2022

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Gemeinderat Gemeinderatssitzung 05.12.2022 ö 8.2

Sachverhalt

Bürgermeister Schabel erläutert untenstehenden Sachverhalt.

Rechtsgrundlage, Umfang und Inkrafttreten des Rechtsanspruchs zum 1. August 2026
Der Rechtsanspruch auf Ganztagförderung für Grundschüler ist im Rahmen des Änderungsgesetzes „Gesetz zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter“ (Ganztagsförderungsgesetz – GaFöG) vom 2. Oktober 2021 in § 24 Abs. 4 SGB VIII geregelt worden (BGBl. vom 11.10.2021. S. 4602 ff.). Die Bundeskompetenz wurde damit begründet, dass ein Anspruch auf ganztägige Förderung von Kindern in den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung für öffentliche Fürsorge falle (Art 74 Abs. 11 Grundgesetz – GG). Die bundesgesetzliche Regelung sei erforderlich zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und zur Wahrung der Wirtschafts- und Rechtseinheit (Art. 72 Abs. 2 GG).

Das GaFöG, sieht vor, den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschülern schrittweise einzuführen. Ab Beginn des Schuljahres 2026/27 sollen zunächst alle Grundschulkinder der ersten Klassenstufe einen Anspruch erhalten. Der Anspruch wird in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet. Damit hat ab August 2029 jedes Grundschulkind der Klassenstufen 1 bis 4 einen Anspruch auf ganztägige Betreuung.

Der Rechtsanspruch gilt ab 1. August 2026 für alle Werktage, die Schultage sind, im Umfang von 8 Zeitstunden. Er gilt somit an den Wochentagen Montag bis Freitag. Ausgenommen sind die gesetzlichen Feiertage. Der Anspruch besteht auch während der Ferien und zwar einschließlich der Sommerferien vor Eintritt in die fünfte Klasse. Das jeweilige Landesrecht kann Schließzeiten im Umfang von bis zu 4 Wochen im Jahr regeln. Diese müssen in der Zeit der Schulferien liegen. Eine entsprechende Reglung steht in Baden-Württemberg noch aus. 

Die Inanspruchnahme des Rechtsanspruchs ist freiwillig. Ob und in welchem Umfang das Betreuungsangebot in Anspruch genommen wird, ist den Kindern bzw. ihren Eltern überlassen. 

Anspruchserfüllende Angebote 
Der Rechtsanspruch gilt im zeitlichen Umfang des Unterrichts sowie der Angebote der Ganztagsgrundschulen, einschließlich der offenen Ganztagsgrundschulen, als erfüllt. Darüber hinaus ist ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten bis zum Erreichen von acht Zeitstunden pro Schultag einschließlich der Ferienbetreuung. 

In der Begründung zum GaFöG wird dazu erläuternd ausgeführt: „Damit wird zum einen der Vorrang des Kernangebots der Schule, der Unterrichtszeit, klargestellt. Das bedeutet, dass zum Beispiel bei einem vierstündigen Unterricht in der Grundschule der Anspruch des Kindes in diesem Umfang als erfüllt gilt, der Anspruch gegenüber dem zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe besteht dann im Umfang der verbleibenden vier Stunden. Zum anderen wird geregelt, dass der Förderanspruch auch durch die Bereitstellung von Angeboten Ganztagsgrundschulen erfüllt wird.“ 

Damit können in Baden-Württemberg Ganztagsgrundschulen nach § 4a Schulgesetz BW, also in verbindlicher Form oder Wahlform den genannten Anspruch in jedem Fall erfüllen. Dies gilt auch für den betriebserlaubten Hort nach § 45 SGV VIII. 

Die kommunalen Betreuungsangebote an der Egauschule Dischingen wie verlässliche Grundschule bzw. Jugendbegleiterprogramm können momentan in Baden-Württemberg den Rechtsanspruch nicht erfüllen. Sie werden bisher in rein kommunaler Verantwortung angeboten. Durch ein Landesgesetz müsste für diese Angebote zunächst eine Aufsicht geregelt werden, damit sie zur Erfüllung des Rechtsanspruchs eingesetzt werden können. Die Landesregierung hat angekündigt, hierzu eine Änderung des Schulgesetzes BW vorzunehmen. 

Das GaFöG sieht eine Evaluation im Jahr 2030 vor. Zur Überprüfung der Wirksamkeit der durch das Gesetz verfolgten Ziele soll der Ausbau der Bildungs- und Betreuungsangebote auf der Grundlage der Kinder- und Jugendhilfestatistik betrachtet werden. Einzelheiten zur erforderlichen statistischen Erhebung sind noch nicht bekannt.


Finanzierung
Investitionskosten fallen an durch die Anpassung bestehender Plätze auf die im Rahmen des Ganztagsanspruchs notwendigen Zeit- und Qualitätsstandards sowie durch den generellen Ausbau von Betreuungsangeboten. Der Bund trägt dabei 3,5 Milliarden Euro, wovon 455 Mio. Euro auf Baden-Württemberg entfallen.

Die konkrete Höhe der Betriebskosten ist abhängig vom Personalschlüssel, der notwendigen Ausbildung des Personals und vom Grad der Inanspruchnahme des Betreuungsanspruchs durch die Eltern. Der Bund beteiligt sich ab 2026 mit maximal 1,3 Milliarden Euro pro Jahr, hiervon entfallen auf Baden-Württemberg 169 Millionen Euro.  

Das GaFöG schließt eine Mitfinanzierung der Elternschaft nicht aus. Im Sinne einer gerechten Lastenverteilung in der Gesellschaft ist eine solche sinnvoll. 
Nicht gedeckte Investitions- und Betriebskosten sind von der Kommune aufzubringen. 


Offene Fragen zur Umsetzung und Ausgestaltung des Rechtsanspruchs und Bewertung 
Derzeit ungeklärt bzw. auf Landesebene zu klären sind folgende Fragenkomplexe:

  1. Verankerung der Aufsicht im Schulgesetz und welche Anforderungen und Standards sind daran geknüpft?
Unter welchen Voraussetzungen werden die bisherigen rein kommunalen Betreuungsangebote (verlässliche Grundschule, Jugendbegleiterprogramm) rechtsanspruchserfüllend im Sinne der neuen Bundesregelung sein können?

Diese kommunalen Betreuungsangebote an (Grund-)Schulen sind in Baden-Württemberg gesetzlich nicht geregelt. Die vom Land gewährte Förderung der kommunalen Angebote erfolgt bisher in Form einer freiwilligen Leistung. Eine Anpassung der Fördersätze entsprechend der Nominallohnentwicklung beim Programm verlässliche Grundschule erfolgte zum Schuljahr 2022/23, nachdem die Fördersätze seit dem Jahr 2000 unverändert waren. 
Prognostizierte Kostenreduzierungen bei den Kommunen durch Umwandlung von Halbtagsschulen in gesetzliche Ganztagsgrundschulen sind nicht in erwartetem Umfang eingetreten, da die Beantragung von Ganztagsgrundschulen stagniert. 

Für rechtsanspruchserfüllende Angebote verlangt das Bundesrecht grundsätzlich die Erlaubnispflicht nach § 45 SGB VIII. Gemäß § 45 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 SGB VIII besteht davon eine Ausnahme, wenn eine entsprechende gesetzliche Aufsicht besteht. Dazu gehört insbesondere die Schulaufsicht. Die Aufsicht der Schulen über die bisherigen rein kommunalen Betreuungsangebote soll durch eine Änderung des Schulgesetzes BW im Winter 2022 geregelt werden. Zum Inhalt der Schulaufsicht sind noch keine Einzelheiten bekannt. Sie könnte mit Vorgaben zur Qualität der Betreuungsangebote und zur Qualifikation des betreuenden Personals verbunden sein. 
Es ist wünschenswert, dass die bestehenden kommunalen Betreuungsangebote rechtsanspruchserfüllend sein können. Diese Angebote haben sich aufgrund der Wünsche und des Bedarfes der Eltern etabliert. 

  1. Finanzierung und Gewährleistung der Komplementärfinanzierung durch das 
    Land? 
Die Bundesländer (inklusive ihrer Kommunen) tragen die Gesamtkosten abzüglich der durch den Bund durch das Ganztagsfinanzierungsgesetz GaFinG bereitgestellten Mittel. Die Investitionskosten- und Betriebskostenbeteiligung des Bundes wurde unter Punkt „Finanzierung“ dargestellt. Das Land hat sich zu seiner Beteiligung an den Investitions- und Betriebskosten noch nicht geäußert.

Investitionskosen
Aus dem Bundesinvestitionsprogramm zum Ausbau der Ganztagsbetreuung gewährt der Bund Beschleunigungsmittel sowie Basis-/Bonusmittel. 

Nach dem Königsteiner Schlüssel stehen Baden-Württemberg 97 Mio. Euro Beschleunigungsmittel zu. Das Investitionsprogramm zum beschleunigten Infrastrukturausbau der Ganztagsbetreuung des Bundes für Grundschulkinder ist inzwischen beendet. 

Die Gemeinde Dischingen hat Mittel beantragt im Investitionsprogramm zum beschleunigten Infrastrukturausbau der Ganztagsbetreuung für Kinder im Grundschulalter und bewilligt bekommen in Höhe von 67.900,00 Euro (Fördersatz 70%) für den Ausbau der Betreuungsräume im UG und der Sanierung des Betreuungsraums im EG in Dischingen. Aktuell erfolgt die Abrechnung der bis zum 31.12.2022 verausgabten Mittel mit dem Land mittels Erstellung des Verwendungsnachweises. 

Zur weiteren Investitionsförderung des Bundes (Basis-/Bonusmittel in Höhe von 359 Mio. Euro für Baden-Württemberg) laufen derzeit Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Die entsprechende Landesförderrichtlinie steht noch aus. Hierbei ist unklar, ob eine regionale Steuerung der Fördermittel erfolgen wird und ob neben der Schaffung zusätzlicher Räume auch die Ausstattung vorhandener Räume gefördert werden wird. 
Geförderte Investitionsmaßnahmen müssen nach dem GaFinHG bis zum Jahresende 2027 abgeschlossen sein. 

Betriebskosten
Die Beteiligung des Bundes setzt aufwachsend ab dem Jahr 2026 ein. Sie erreicht ihre volle Höhe ab dem Jahr 2030 und ist auf 960 Mio. Euro bundesweit gedeckelt. Tatsächlich entstehen Betriebskosten bereits vor 2026 in der Ausbauphase der Betreuungsangebote. 

Bei gebundenen Ganztagsschulen nach § 4a SchulG BW sind Lehrkräfte in das Angebot eingebunden. Somit entfällt ein Teil der Finanzierung der Personalkosten auf das Land. 

Das GaFöG schließt eine Mitfinanzierung der Elternschaft nicht aus. Im Sinne einer gerechten Lastenverteilung in der Gesellschaft ist eine solche sinnvoll. 


  1. Maß der Inanspruchnahme des Rechtsanspruchs und Ermittlung des 
    Bedarfs?
Der Bedarf an Ganztagsbetreuungsangeboten hängt vor allem davon ab, in welchem Maße die Eltern die Ganztagsbetreuung für ihre Kinder in der Grundschule in Anspruch nehmen.

Es darf davon ausgegangen werden, dass Eltern eine ähnlich umfangreiche Betreuung wie im letzten Kitajahr ihres Kindes wünschen. Da der Rechtsanspruch auch die Ferienzeiten umfasst, ist mit einer deutlich erweiterten Inanspruchnahme zu rechnen. 
Nach der jüngsten Erhebung des Kultusministeriums und der Kommunalen Landesverbände liegt die Betreuungsquote bei Grundschulkindern im Schuljahr 2021/22 durchschnittlich bei 52,9 Prozent, wobei der Betreuungsumfang variiert und vom Umfang her nicht dem Rechtsanspruch entspricht.

Nicht zuletzt wird die Inanspruchnahme durch die Eltern auch davon abhängen, was sie die Betreuung ihres Grundschulkindes kosten wird. 

Aktuell erfolgt die Ganztagesbetreuung an der Egauschule Dischingen auf Wunsch der Eltern. Elternbeiträge werden für die Betreuung bisher nicht erhoben.
Eine Aussage zum voraussichtlichen Bedarf kann derzeit noch nicht gemacht werden.

  1. Erforderliche Qualifikation des Personals und Ermittlung des 
    Personalbedarfs?
Der Mangel an Fachkräften bei der Betreuung in Kindertageseinrichtungen lässt bereits heute darauf schließen, dass für die Betreuung an Grundschulen die notwendigen Fachkräfte nicht vorhanden sein werden. Am 05.Juli 2022 hatte die Bertelsmann-Stiftung eine erhebliche Fachkräftelücke prognostiziert. Es fehlen bis zum Jahr 2030 etwa 6000 bis 9100 Fachkräfte – und zwar zusätzlich zum bereits vorhandenen Personalmangel in der frühkindlichen Bildung.

Vor diesem Hintergrund scheint es dringend geboten, das bisherige Betreuungspersonal und die bisherigen Kooperationen mit außerschulischen Partnern in der Betreuung der Grundschulkinder nach GaFöG einzusetzen. Aussagen des Landes zur erforderlichen Qualifikation des Betreuungspersonals, aber auch zur Gruppengröße und zum Betreuungsschlüssel sind noch nicht bekannt. 

  1. Räumliche Erfüllung des Rechtsanspruchs?
Der Anspruch gilt grundsätzlich innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. Eltern haben danach zunächst keinen Rechtsanspruch auf Betreuung an jeder Grundschule. Vielmehr besteht der Rechtsanspruch innerhalb des Landkreises. Zu hinterfragen ist, ob ein Ganztagsbetreuungsangebot an jeder Grundschule erforderlich ist. Vor diesem Hintergrund kann auch eine interkommunale Zusammenarbeit in die Planungen einbezogen werden. 

Der Gemeinderat nimmt dies zur Kenntnis.

Datenstand vom 25.01.2023 13:13 Uhr