Beschluss der Satzung zur förmlichen Festlegung des Sanierungsgebietes „Ortsmitte“ gemäß § 142 BauGB


Daten angezeigt aus Sitzung:  Gemeinderatssitzung, 30.09.2019

Beratungsreihenfolge
Gremium Sitzung Sitzungsdatum ö / nö Beratungstyp TOP-Nr.
Gemeinderat Gemeinderatssitzung 30.09.2019 ö 1

Sachverhalt

Hierzu kann Bürgermeister Jakl Herrn Mielitz von der Landsiedlung Baden-Württemberg GmbH in Stuttgart begrüßen.

Vorbemerkung:

Herr Mielitz berichtet, dass die städtebauliche Erneuerungsmaßnahme „Ortsmitte“ mit Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.04.2019 in das Bund-Länder-Programm Kleinere Städte und Gemeinden (LRP) aufgenommen und mit einem Förderrahmen in Höhe von 1.500.000 € (Finanzhilfe des Bundes und des Landes in Höhe von 900.000 €) ausgestattet wurde.

Die als Voraussetzung für die förmliche Festlegung des Sanierungsgebietes und damit für die Durchführung erforderlicher Erneuerungsmaßnahmen sowie für die Inanspruchnahme der bewilligten Finanzhilfen des Bundes und des Landes notwendigen Vorbereitenden Untersuchungen wurden mit Beschluss des Gemeinderates vom 06.05.2019 eingeleitet und am 10.05.2019 ordnungsgemäß im Mitteilungsblatt bekannt gemacht.

Die im Zusammenhang mit der Antragstellung erarbeiteten planerischen Grundlagen und Überlegungen sowie die im Rahmen der Vorbereitenden Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse haben ausreichende Beurteilungsgrundlagen über die Notwendigkeit von Erneuerungsmaßnahmen nach dem Baugesetzbuch (BauGB) in dem zukünftigen Sanierungsgebiet „Ortsmitte“ und die daraus abzuleitenden Ziele und Maßnahmen ergeben. Die der Antragstellung zugrundeliegenden planerischen Überlegungen sowie die Ziele der Sanierung wurden in der Sitzung des Gemeinderates am 13.11.2018 ausführlich dargestellt und erörtert.
Der weitere Schritt besteht nun darin, die Satzung gemäß § 142 BauGB zeitnah zu beschließen, sodass bereits noch im Programmjahr 2019 erste, für die städtebauliche Erneuerung wichtige Bau- und Ordnungsmaßnahmen durchgeführt werden können.
Durch den Beschluss der Satzung wird das Gebiet, in dem die Sanierung gemäß den Er-kenntnissen der bisherigen Planungen und Untersuchungen sinnvollerweise durchgeführt werden soll, förmlich als Sanierungsgebiet festgelegt.
Mit Beschluss der Sanierungssatzung ist gemäß § 142 Absatz 4 BauGB weiterhin festzulegen, ob die Vorschriften der §§ 152 – 156a BauGB (Besondere sanierungsrechtliche Vorschriften) bei der Sanierungsdurchführung zur Anwendung gelangen sollen. 
Wahl des Sanierungsverfahrens

Einführung und gesetzliche Grundlagen

Mit Beschluss der Sanierungssatzung hat die Gemeinde Dischingen gemäß § 142 Absatz 4 BauGB auch zu entscheiden, welches Verfahrensrecht bei der Sanierungsdurchführung anzuwenden ist. Das Baugesetzbuch unterscheidet dabei zwei unterschiedliche Alternativen:

  • das Verfahren unter Anwendung der besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften der §§ 152 bis 156a BauGB, auch „klassisches“ oder „umfassendes“ Sanierungsverfahren genannt

  • das „vereinfachte“ Verfahren unter Ausschluss der besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften der §§ 152 bis 156a BauGB.

Das „klassische“ Verfahren beinhaltet mit den §§ 152 bis 156a BauGB die besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften des dritten Abschnittes des besonderen Städtebaurechts. Hierin sind vor allem enthalten:
  • die Erhebung von Ausgleichsbeträgen zur Finanzierung der Sanierung, d. h., die Verpflichtung des Eigentümers eines im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstückes, zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag zu entrichten, welcher der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwertes seines Grundstückes entspricht,

  • die Preisprüfung bei der rechtsgeschäftlichen Veräußerung eines Grundstückes sowie bei der Bestellung oder Veräußerung eines Erbbaurechts, d. h., die Möglichkeit, sanierungsbedingte Bodenwerterhöhungen auszuschließen und somit ggf. Grundstücke für Ziele und Zwecke der Sanierung zum sanierungsunbeeinflussten Wert zu erwerben.

Zur Erläuterung:

Gemäß § 153 Abs. 2 BauGB ist jeder im Sanierungsgebiet abgeschlossene Kaufvertrag einer Preisprüfung zu unterziehen. Bei einer Überschreitung des Verkehrswertes von mehr als 10% ist die Genehmigung des Kaufvertrages zu versagen.

Um in der Praxis bei Grundstücksverkäufen Spekulationen mit Bodenwertsteigerungen, die durch die Aussicht auf die Sanierung bzw. durch ihre Vorbereitung oder Durchführung entstanden sind, zu verhindern, ist bei der Preisprüfung der sanierungsunbeeinflusste Verkehrswert zugrunde zu legen.

Die Anwendung dieser Rechtsvorschriften ist demnach in erster Linie immer dort ratsam, wo eine Gemeinde darauf angewiesen ist, beispielsweise zum Zwecke umfassender Neuordnungsmaßnahmen mehrere Grundstücke zusammenhängend zu erwerben, um diese nach Neuordnung unter entsprechenden städtebaulichen und gestalterischen Auflagen an Investoren weiterzugeben – einerseits um im Hinblick auf dieses Vorhaben eine spekulative Entwicklung der Preise und somit unnötige Mehraufwendungen zu vermeiden, andererseits um zu verhindern, dass mittels überhöhter Kaufpreisangebote seitens Dritter die benötigten Grundstücke langfristig dem Zugriff der Gemeinde entzogen und abweichend vom beabsichtigten Erneuerungskonzept genutzt werden.
Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach § 127 Abs. 2 BauGB entfällt bei der Anwendung des „klassischen“ Verfahrens.
Nach § 142 Abs. 4 BauGB ist die Anwendung der besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften der §§ 152 bis 156a BauGB im Rahmen der Sanierungssatzung auszuschließen, wenn diese für die Durchführung der Sanierung nicht erforderlich sind bzw. die Durchführung hierdurch voraussichtlich nicht wesentlich erschwert wird.
Im „vereinfachten“ Verfahren sind dann dementsprechend ausgeschlossen:
  • die Erhebung von Ausgleichsbeträgen

  • die Möglichkeit der Preisprüfung, d. h., private Erwerber sind demnach beim Grundstücksverkehr nicht mehr an den Grundstückswert nach §153 Abs. 1 BauGB gebunden.

Daher ist zu prüfen, ob in Folge der Sanierung voraussichtlich sanierungsbedingte Bodenwerterhöhungen entstehen werden und/oder ob diese bei Verzicht auf die Möglichkeit der Preisprüfung zu einer Erschwerung der Sanierungsdurchführung führen können.

Erfahrungsgemäß ist die Wahrscheinlichkeit einer sanierungsbedingten Bodenwerterhöhung dann vergleichsweise groß, wenn eine Gemeinde im Rahmen der Sanierungsdurchführung folgende städtebauliche Verbesserungen anstrebt:

  • Verbesserung der Lage und Struktur eines Sanierungsgebietes oder Teilgebietes, z. B. die Ausweitung eines Geschäftsbereiches auf einen angrenzenden, bisher vernachlässigten Bereich und/oder die Beseitigung von Nutzungskonflikten (Lagewertverbesserung)

  • Verbesserung der Nutzungsstufe innerhalb eines Teilbereiches, z. B. die Wiedernutzbarmachung einer Gewerbebrache für neue gewerbliche Nutzung oder Wohnnutzung

  • Verbesserung der Art und des Maßes der baulichen Nutzung

  • Verbesserung des Erschließungszustandes, z. B. die Aufwertung des innerörtlichen Einzelhandels durch attraktive Fußgängerzonen, öffentliche Tiefgaragen etc.
  • Verbesserung der Grundstückszuschnitte oder der Bodenbeschaffenheit, z. B. Schaffung von erstmalig zweckmäßig bebaubaren Grundstücken durch Bodenordnung oder durch Beseitigung von Altlasten.

Für Sanierungsmaßnahmen, die vor allem die Modernisierung und Instandsetzung von Gebäuden und/oder die Herstellung und Verbesserung von Erschließungsanlagen ohne durchgreifende Maßnahmen der Bodenordnung zum Ziele haben, kommt dagegen vielmehr die Anwendung des „vereinfachten“ Verfahrens in Betracht.

Bezüglich der Förderung von privaten Einzelmaßnahmen bestehen zwischen beiden Verfahrensarten keine Unterschiede. Des Weiteren gelten gleichermaßen die besonderen abgaben- und steuerrechtlichen Vorschriften des BauGB bzw. der Steuergesetzgebung, insbesondere die Vergünstigungen nach den §§ 7h und 10f EStG für Modernisierungen und Instandsetzungen im Sanierungsgebiet.
Bei der Anwendung des „vereinfachten“ Verfahrens gibt es weiterhin die Entscheidungsmöglichkeit, auf die Anwendung des § 144 BauGB (genehmigungspflichtige Vorhaben und Rechtsvorgänge) ganz oder wahlweise auf die Abschnitte 1 und 2 dieses Paragraphen zu verzichten.

Grundsätzlich gilt, dass die Wahl zwischen den beiden oben beschriebenen Verfahrensarten nicht im Ermessen der Gemeinde liegt. Das BauGB geht vielmehr davon aus, dass auf den Einzelfall nur das eine oder andere Verfahren passt, weshalb die Entscheidung sachgerecht und sorgfältig getroffen und begründet werden muss.

Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten viele Kommunen die Wahl des adäquaten Verfahrens nicht mit der gebotenen Sorgfalt und ausschließlich nach sachbezogenen Kriterien, sondern vielmehr unter kommunalpolitischen Gesichtspunkten getroffen und dabei verständlicherweise das „einfache“ Verfahren favorisiert haben, ist in jüngerer Zeit ein verstärktes Bemühen seitens der Bewilligungsbehörden erkennbar, die Kommunen zu einer sachgerechten Abwägung zu bewegen – mit einer unverkennbaren Tendenz zum „klassischen“ Verfahren.

Einige gewichtige, gern zur Begründung des klassischen Verfahrens angeführte Argumente lassen sich dabei stichhaltig durch den Hinweis auf die Ziffer 5.5 der StBauFR entkräften.

Nach dieser Regelung wird der durch die sanierungsbedingte Freimachung und Neuordnung eines städtischen bzw. sanierungsbedingt erworbenen Grundstückes entstandene Mehrwert auch im „einfachen“ Verfahren abgeschöpft und somit dem Sanierungsvermögen zugeführt.
Voraussetzung für die Stichhaltigkeit dieses Argumentes ist allerdings, dass sich die Gemeinde zu ihrer Absicht bekennt, die Anwendung dieser Regelung durch den Zwischenerwerb relevanter Schlüsselgrundstücke sicherzustellen und diese Absicht durch einen entsprechenden Entschluss im Gemeinderat untermauert.

Begründung der Verfahrenswahl für die städtebauliche Erneuerungsmaßnahme „Ortsmitte“

Für die Durchführung der zukünftigen städtebaulichen Erneuerungsmaßnahme „Ortsmitte“ ist das „vereinfachte“ Verfahren unter Ausschluss der besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften der §§ 152 bis 156a BauGB angemessen und geeignet.

Das im Zuge der Antragstellung entwickelte und im Rahmen der Vorbereitenden Untersuchungen ergänzte Maßnahmenkonzept lässt keine Notwendigkeit zur Einbeziehung dieser Vorschriften erkennen.

Bei den geplanten Maßnahmen handelt es sich entweder um öffentliche Maßnahmen, die vollständig im Entscheidungsbereich der Gemeinde liegen (Erneuerung oder Neubau des Rathauses, Gestaltung des Marktplatzes und des öffentlichen Raums), oder um Maßnahmen zur Verbesserung der Wohnqualität im Bestand, welche sich wiederum ausschließlich auf die Initiative und die Mitwirkungsbereitschaft privater Eigentümer stützen. Letzteres gilt auch für den im Einzelfall vorzusehenden Ersatz nicht mehr erhaltungsfähiger und -würdiger Bausubstanz durch maßstäbliche und ortsbildgerechte Neubebauung. Eine grundstücksübergreifende Neuordnung von Flächen zur Erschließung von innerörtlichem Baulandpotential ist nicht notwendig. Die Umsetzung der genannten Maßnahmen wird durch den Ausschluss der §§ 152 bis 156a nicht erschwert.
Sanierungsbedingte Bodenwerterhöhungen sind im zukünftigen Sanierungsgebiet „Ortsmitte“ mit Blick auf die Struktur und Wirkung der Maßnahmen- und Neuordnungskonzept dargestellten Maßnahmen ebenfalls generell nicht zu erwarten.
Die Realisierung eines potentiellen Bodenwertzuwachses auf privaten Neuordnungsgrundstücken ist dadurch ausgeschlossen, dass eine Förderung mit Mitteln 
der städtebaulichen Erneuerung in aller Regel nur dann stattfindet, wenn der Entschädigungsempfänger selbst eine Wiederbebauung der neugeordneten Flächen gemäß den Entwicklungszielen und den städtebaulichen und gestalterischen Maßgaben der Gemeinde durchführt.
Von der Möglichkeit, zusätzlich auch auf die Anwendung des § 144 BauGB (Genehmigungspflichtige Vorhaben und Rechtsvorgänge) ganz oder teilweise zu verzichten, sollte bei der Durchführung der städtebaulichen Erneuerungsmaßnahme „Ortsmitte“ kein Gebrauch gemacht werden – eröffnet der § 144 BauGB in Verbindung mit § 145 Absatz 2 BauGB der Gemeinde doch die Möglichkeit, die nach diesen Regelungen genehmigungspflichtigen Vorhaben zu versagen, wenn sie die Durchführung der Sanierung verhindern oder wesentlich erschweren würden. 
Des Weiteren ist im Rahmen der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebietes die Frist festzulegen, in der die Sanierung durchgeführt werden soll. Als Durchführungszeitraum wird vorgeschlagen die Zeit bis zum 30.04.2030.

Dokumente
2019-09-09_Abgrenzungsplan Sangebiet_Satzungsbeschluss (002) (.pdf)
Anlage 1 (.pdf)
Rechtsgrundlagen u.a. Baugesetzbuch (.pdf)

Datenstand vom 04.11.2021 15:53 Uhr